Bildwelten

1. Sprachliche und visuelle Bilder

Geht es um Bilder, denkt man zunächst an Gemaltes, Grafisches oder auch Fotografiertes, also an etwas, was im Sehen unmittelbar wahrgenommen oder in der Erinnerung vorgestellt wird. Der Blick darauf mag sich auf das Dargestellte selbst oder die Gestaltung (Form, Farbe, Komposition, bildnerische Mittel) konzentrieren. Wir können etwas wiedererkennen (oder nicht), sind häufig auch spontan emotional angesprochen und lassen uns auf Assoziationen ein.

Sprachliche Bilder sind ähnlich, was die Vorstellung bzw. das Vorgestellte (Imaginierte) betrifft, bei den Ausdrucksmitteln haben wir es, anders als beim visuellen Bild, mit sprachlichen Mitteln zu tun. Metaphorische Redewendungen zeigen eine Fülle von Möglichkeiten auf, mit sprachlichen Mitteln sprachliche Bilder zu erzeugen. Dies zu beschreiben, quasi metasprachlich, erfolgt auf einer begrifflichen Ebene (Beschreibungsebene). In den TEXT-BILD-OBJEKTEN sind beide Ebenen, die visuelle und die begrifflich-sprachliche Ebene, als Präsentationsformat miteinander verbunden.

Bei der Beschreibung sprachlicher Bilder kommt es darauf an, dass tatsächlich nur das Bild als solches beschrieben wird und nicht die übertragene Bedeutung (Konzept; dazu vgl. Denkwelten). Dennoch gibt es beim Bild einen Anknüpfungspunkt (eine Art Brücke) zum Konzept. Bildbeschreibung und die Art der Anknüpfungspunkte werden im Folgenden skizziert.

iBiS konzentriert sich auf die Präsentation von lexikalischen Ausdrücken, in denen die vier Elemente Wasser, Feuer, Erde, Luft die Vorstellungswelt bestimmen. Das Vier-Elemente-System geht auf alt-griechische bzw. alt-ägyptische Vorstellungen zurück. Verschiedentlich beachtet sind in iBiS Aspekte alt-japanischer (Shintoistischer) Vorstellungen, so etwa mit dem zusätzlichen Element der Leere. Auch gibt es hier Überlappungen mit den alt-chinesischen Vorstellungen der Fünf-Elemente-Lehre (Wasser, Holz, Feuer, Metall, Erde), wo Dynamik und Wandel im Vordergrund stehen. Im Gegensatz dazu wird die westliche Einteilung im Sinne physikalischer Bausteine verstanden (vgl. Glossar > Elementelehre).

Die Beschreibung der sprachlichen Bilder erfasst zwei „Ansichten“. Zum Einen geht es um den Gesamteindruck, die Bildkonstruktion. Ihr Bezugsrahmen sind die Herkunftsbereiche der Metaphern. Zum anderen geht es um die Bildkomposition, zusammengesetzt aus den Bildelementen. Diese entsprechen den sprachlichen Kernkomponenten der Ausdrücke. Dabei unterscheiden wir einfache Szenen mit nur einer Kernkomponente (ins Wasser fließen lassen) und komplexe Szenen mit mehreren Kernkomponenten (Wasser fließt immer den Berg hinab). Die Beschreibung eines Bildelements ist durch dessen Zuordnung zu einer übergeordneten Klasse mit den bildrelevanten Eigenschaften in einem Profil gebündelt. Dazu können weitere Einflusskomponenten und deren Eigenschaften das Profil ergänzen (s. u.). Bildkonstruktion sowie die Profile der Bildelemente (als Bildkomposition) liefern die Basis für den Sprachvergleich, insbesondere für die Feststellung der Bildäquivalenz zwischen Ausdrücken einer oder mehrerer Sprachen.



Herkunftsbereiche der Metaphern:

Die in den Szenen dargestellten Sachverhalte unterscheiden sich in Abhängigkeit der Herkunftsbereiche der Metaphern (Bildspendebereiche). Das für iBiS selektierte Material (aus Wörterbüchern und Texten) lässt sich vier Herkunftsbereichen zuordnen. A, B, C, können als Abbildungen verstanden werden (es gibt Entsprechungen in der (vorgestellten) Realwelt), während D semantische Konstruktionen erfasst (also Fantasiekreationen):

- A: Natur-Abbildungen (Erdatmosphäre)
Die Szenen sind geprägt durch Naturphänomene innerhalb der Erdatmosphäre : Wasser fließt immer den Berg hinab (d 10004); Geht man den Fluss abwärts, kommt man ans Meer, geht man den Fluss aufwärts, kommt man auf den Berg (10006). Dabei mag das Naturverständnis auch durch (künstlerische) Traditionen geprägt sein, was insbesondere dem Japanischen zugeschrieben wird (vgl. Glossar > Natur), z. B. wie ein Silberreiher auf dem Schnee (J 10162); Fällt Schnee auf die Kiefer, zeigt sich wie belastbar der Kiefernzweig ist (j 10065).

- B: Himmels-Abbildungen (oberhalb der Erdatmosphäre)
Sichtbar, aber unerreichbar für den Menschen und wirksam für sie wie für die Natur bildet der „Himmel“ eine eigene Atmosphäre (Oben – Unten – Achse; sichtbar im Wettergeschehen).
Vom Prinzip her stellt sie eine von den Elementen getrennte Sphäre dar, ist aber durchmischt mit den Elementen, vor allem mit den Eigenschaften des Feuers wie Licht und Wärme. Ihre Vetreter sind Sonne, Mond und Sterne, die im Weiteren den Wechsel von Tag (Helligkeit) und Nacht (Dunkelheit) prägen, was wiederum die Kunst in hohem Maße inspiriert hat, z. B. nur klares Wasser beherbergt den Mond (j 10043). Verschiedentlich tauchen auch Vorstellungen auf, nach denen das Feuer selbst entweder aus dem Himmel kommt (wie ein Blitz aus heiterem Himmel, d 10075) oder aus dem Erdinneren (auf einem Vulkan tanzen, d 10142).

- C: Kultur-Abbildungen
Im Vordergrund stehen die Artefakte, die mit den Elementen verbunden sind (Brunnen (Wasser), Mühle (Wasser), Reisfeld (Wasser), Feuerstelle (Feuer), Eisen (Bügeleisen)).
zwei Eisen im Feuer haben (d 10167; früheres Schneiderhandwerk),
das Wasser ins eigene Reisfeld (j 10033) / auf die eigene Mühle leiten (d 10118).
Verschiedentlich sind bestimmte historische Rituale in ihrer Bedeutung nicht mehr präsent, sie verlangen entsprechende Kenntnisse für das Bildverstehen:
auf keinen grünen Zweig kommen (d 10119).

- D: Semantische Konstruktionen
(als-ob-Szenen, wie-wenn-Szenen; Erfindungen, Fantasien, „Malen mit Wörtern“): in der einen Hand Wasser und in der anderen Hand Feuer tragen (d 10146); ein Bild aufs Wasser malen (j 10021); ins Wasser säen (d 10097); Löcher in die Luft gucken (d 10155).

Die Beschreibung der Bildkonstruktion (Kodierung: Bildkonstruktion) entspricht den aufgeführten Gruppen:
Naturabbildung, Himmelsabbildung, Kulturabbildung (Körper/Artefakte), Als-Ob-Konstruktion.



Bildelemente und Bildkomposition:

Das jeweilige Bild im Ganzen ist zusammengesetzt aus den beteiligten Bildelementen. Diese gehören drei unterschiedlichen Sphären an, parallel zu den drei Realitätsbezogenen Herkunftsbereichen. Des Weiteren werden die Bildelemente als Erscheinungsweisen einer Klasse verstanden.

Für die vier Elemente, jede als Klasse, gibt es u.a. folgende Erscheinungsweisen (kursiv geschrieben), wobei die Klassenbezeichnung auch für die generalisierte Escheinungsweise verwendet wird:

  • WASSER
    (Wasser; Naturformen: Meer, Fluss; Wettererscheinungen und Aggregatzustände: Regen, Schnee, Eis, Dampf; typisches Leitobjekt: Fisch)
  • FEUER
    (Feuer; Naturformen: Flammen, Funken; Artefakte: Herd, Ofen, Schmiede)
  • ERDE
    (Erde; Naturformen morphologisch: Berg, Tal; Bestandteil: Boden, Sand; Pflanzenbewuchs: Wald, Baum)
  • LUFT
    (Luft; bewegte Luft: Wind, Sturm; angereicherte Luft: Wolken, Nebel, Rauch)

Die Sphäre des Himmels (angrenzend an die Atmossphäre und auf diese einwirkend) ist markiert durch die „Himmelskörper“:


Die Sphäre des Menschen ist gekennzeichnet durch den Menschen als Körper und die Körperteile sowie durch die vom Menschen geschaffenen Artefakte (, die wiederum durch die Bausteine der Elemente ermöglicht werden).

  • MENSCH
    (Körperteile: Beine, Augen; Artefakte (Element Wasser: Brunnen, Mühle, Reisfeld))

Die Zugehörigkeit einer Erscheinungsweise (Instanz) zu einer bestimmten Klasse bedeutet nicht nur eine Art Rahmung des Bildelements sondern zugleich die Zuordnung einer (bildrelevanten) Eigenschaft der Klasse. Den Eigenchaften generell kommt eine zentrale Funktion zu. Sie bilden die Brücke von der Bedeutung des Bildes zur Bedeutung des abstrakten Konzepts (vgl. Glossar > Analogie).

Am Beispiel ins Wasser fließen lassen (j 10002) ist dies leicht einsichtig. Die Eigenschaft {auflösende Kraft} des Wassers – zusammen mit der Eigenschaft {zum Verschwinden bringen} - prägen einerseits die Bedeutung des sprachlichen Bildes und andererseits den abstrakten Sinn von {Loslassen eines Konflikts}.

Die Eigenschaften der Klasse gehören, selektiert, auch zu den Eigenschaften der jeweiligen Erscheinungsweise; die Eigenschafte der jeweiligen Erscheinungsweisen sind spezifisch und können auch im Gegensatz zu den Klasseneigenschaften stehen. Im Folgenden werden einige Beispiele skizziert:

WASSER {formlos, auflösend, reinigend, Existenz fördernd, gefährdend, zerstörend; Größe (groß, klein}, Zusatz (klar, trüb); Zustand (still, bewegt)}
Fluss {(Aggregatzustand flüssig; Begrenzung Ufer; tragfähig, transportfähig}
Schnee {Aggregatzustand fest; kalt; winterlich; lebensfeindlich; anstrengend; Farbe (weiß)}

ERDE {fest, kompakt, formbar, intransparent, Halt gebend}
Sand {locker, einzelkörnig, nachgebend, beweglich}

Der Zusammenhang von Erscheinungsweise mit der bildrelevanten Eigenschaft, und Zuordnung der Klasse (Klasse (I)) und deren (bildrelevanter) Eigenschaft bildet das Profil eines Bildelements (Abb. 1a). Ins Schema aufgenommen ist eine optionale Klasse (Klasse (II)), deren Eigenschaften ebenfalls die Bedeutung des Bildes beeinflussen.



Zunächst dazu ein einfaches Beispiel wie (im Sande verrinnen (d 10010)). Das Bildelement Sand (Erscheinungsweise, Instanz) gehört zur Klasse (Klasse (I)) des Elements ERDE, wobei „intransparent“ und “fest“ als Klasseneigenschaften gelten, während Sand die Vorstellung des „Einzelkörnigen“ und „Durchlässigen“ vermittelt. Ersteres verbindet sich mit der Vorstellung, dass etwas quasi vor den Augen für immer und ohne Spur aus dem Bereich des Sichtbaren in den des Intransparenten verschwindet (Abb. 1b).



Bedeutung der Bildkomposition (Text):
Etwas wird durch den Sand durchgelassen und verschwindet vor den Blicken in der intransparenten ERDE, ohne dass etwas Sichtbares zurückbleibt; die Bedeutung des Konzepts lässt sich entsprechend formulieren: „ohne Spur ergebnislos verlaufen (Tun, Anstrengung, Projekt)“.

Als Beispiel für ein komplexeres Bild wird das Profil für die Erscheinungsweise Rauch aus dem Ausdruck kein Rauch ohne Feuer (j 10144) skizziert. Die zusätzliche Klasse (Klasse (II)) bringt weitere Eigenschaften ein. Sie verändert die Eigenschaft der Klasse LUFT {transparent} zu {intranssparent} (Abb. 1c).



Betrachten wir im Weiteren Wolken als Beispiel für Gebilde der LUFT. Hier gibt es zwei Lesarten (Abb. 1d), je nachdem ob sich die Klasse (II) als Einflusskomponente auf das Element Wasser bezieht oder auf die erdferne Sphäre des Himmels:

(1) Einflusskomponente ist das Element Wasser mit der Eigenschaft {hohe Feuchtigkeit} und {Wettererscheinung / Gewitter}:
- Dunkle Wolken ziehen auf (d 10179).

Bedeutung der Bildkomposition (Text):
Es zieht ein Gewitter auf, deutlich sichtbar (oben am Firmament).
Konzeptbedeutung: Ein Konflikt oder Streit ist zu erwarten.



(2) Einflusskomponente ist der Himmel mit der Eigenschaft „Erdferne“:
- Auf Wolke Sieben (d 10177);
- Aus allen Wolken fallen (d 10180).

Bedeutung der Bildkomposition:
Man befindet sich außerhalb der „Erdenschwere“ bzw. man wird (wieder) unsanft in sie befördert.
Konzeptbedeutung:
Man befindet sich in einer gehobenen, angeregten, euphorischen Stimmungslage, evtl. mit Realitätsverlust, was auch wieder umschlagen kann.

Bei Ausdrücken mit mehreren Bildelementen setzt sich die Bedeutung der Bildkomposition aus den entsprechenden Profilen zusammen. Es erscheint als sinnvoll, auch im Hinblick auf die Auswahl der bildrelevanten Eigenschaften eine gewisse Systematik zu erreichen, die eine Vergleichbarkeit hinsichtlich der Bild- und Konzeptäquivalenz zwischen Ausdrücken verschiedener Sprachen gestattet.



TEXT-BILD-OBJEKTE:

Im digitalen Lexikon (Zugang über Index) ist jeder deutsche und japanische Ausdruck in einer gemischt verbalen und visuellen Darstellung als Text-Bild-Objekt präsentiert. Neben der Beschreibung der begrifflichen Bedeutung (Denkwelten) werden ebenfalls die Anteile der jeweiligen Bildwelt beschrieben (Elementeigenschaften, Herkunftsbereich, Bildkomposition). Emotional-assoziative Aspekte werden in einer malerisch gestalteten (und dann fotografisch-digitalisierten) Collage erfasst. Diese ist geprägt durch eine an der wörtlichen Bedeutung des Ausdrucks orientierten Bildidee und deren Realisierung in einer zum Element passenden Farbigkeit sowie durch die Kombination einer abstrakten Basiskomposition mit weiteren geometrischen Formen, typografischen Komponenten, Dekorationen und Linienzeichnungen (für Details vgl. Bildwelten > Bildnachweis).